Fast unbemerkt hat der BGH in seinem Urteil vom 22.02.2018 (VII ZR 46/17) das Ende der fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht eingeleitet. Die praktischen Auswirkungen der Grundsatzentscheidung werden spürbar sein. Das Urteil des BGH gilt unter anderem für alle Bauverträge, Architekten- und Ingenieurverträge und Bauträgerverträge, soweit diese als Werkvertrag einzustufen sind.
Dem Urteil lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde:
A ließ ein mehrgeschossiges Einfamilienhaus errichten und beauftragte B mit der Planung und Überwachung seiner Herstellung. Mit einem weiteren Vertrag beauftragte A den B unter Einbeziehung der „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“ (VOB/B) unter anderem mit der Ausführung von Naturstein- und Fliesenarbeiten. B ließ daraufhin Natursteinplatten verlegen. A nahm die Arbeiten des B ab und erstellte eine Schlussrechnung.
Zwei Jahre später zeigten sich erste Mängel der Natursteinarbeiten, die sich in der Folgezeit verstärkten. Im Folgejahr verkauft A das – mittlerweile fertiggestellte – Objekt. A verzichtet auf die Beseitigung der entstandenen Mängel, verlangt allerdings von B Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten in Höhe von € 80.000,00.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH war der Bauherr (auch) dazu berechtigt, seinen Schaden auf Basis der fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu bemessen. Dabei konnte er verlangen, dass der Schaden mit dem für die Mangelbeseitigung erforderlichen Geldbetrag abgegolten wird. Ob er den zur Verfügung gestellten Betrag tatsächlich zur Mängelbeseitigung verwendet oder nicht, war unerheblich.
Diese Rechtsprechung gehört der Vergangenheit an. Ein Bauherr, der keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätigt, sondern diese nur fiktiv ermittelt, erleidet auch keinen Vermögensschaden in Form und Höhe dieser (nur fiktiven) Aufwendungen. Der Bauherr kann also nicht mehr bereits den Mangel selbst als Schaden qualifizieren. Denn ein Mangel ist, nach Auffassung des BGH, zuvorderst nur ein Leistungsdefizit, weil das Werk hinter der geschuldeten Leistung zurückbleibt – über die Höhe des Schadens lässt sich aus dem Vorliegen eines Mangels jedoch noch nichts sagen. Mit einer fiktiven Schadensbemessung würde dieses Defizit – vor allem im Baurecht – bei wertender Betrachtung aber nicht zutreffend abgebildet, sondern vielmehr häufig zu einer Überkompensation und damit nach einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers führen, denn nicht alle Schäden müssen zwingend saniert werden bzw. lassen sich im Endeffekt kostengünstiger beseitigen.
Unabhängig von dieser geänderten Rechtsprechung steht es dem Bauherrn selbstverständlich weiter offen, den erlittenen Schaden konkret zu beziffern und in dieser Höhe geltend zu machen. So kann der Bauherr weiterhin:
seinen Vermögensschaden anhand der Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der geschaffenen Sache ohne Mangel und ihrem Wert mit Mangel darlegen;
die Vergütung des Auftragnehmers mindern in dem Verhältnis mindern, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert des Werkes in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde;
den Schaden beheben lassen und die erforderlichen Aufwendungen als Schadensersatz geltend machen. Will der Bauherr diese Kosten nicht vorfinanzieren, kann er auf Zahlung eines Vorschusses klagen.
Ob das Urteil auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung zum fiktiven Schadensersatz im Kaufvertragsrecht oder Deliktsrecht hat, bleibt abzuwarten. Zum jetzigen Zeitpunkt kann jedoch davon ausgegangen werden, dass vor allem bei KfZ-Schäden die Abrechnung auf „Gutachterbasis“ weiterhin möglich bleibt.
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Dr. Carl & Partner mbB Wirtschaftsprüfer I Steuerberater I Rechtsanwälte